Samstag, 25.Juli 2020
14 Kilometer durch den Rheingau
Nach einem ausgiebigen Frühstück – u.a. mit meinen Balkon-Tomaten – bereite ich alles für eine mittelschwere Rheingau-Wanderung vor. Bei der Wanderung um das ‚Rote Moor‘ habe ich Blut geleckt und will es heute wissen. Die Tour, die ich mir vorgenommen habe ist noch mindestens 3-4 Kilometer länger. Schau’n mer ma!!
Ich betanke das Auto, und fahre ohne Stau und bei wenig Verkehr direkt auf den Parkplatz ‚An der Ringmauer‘ in Rüdesheim. Ich löhne 4 Ocken, schnüre die Wanderschuhe und starte um 13 Uhr. Es ist sehr bedeckt aber warm.
Die meisten Leute kommen ja nach Rüdesheim, um sich den ganzen Tag von einem Weinlokal durchs nächste zu trinken.
Kann man, muss man aber nicht. Denn die Gegend rund um die Drosselgassenstadt ist alles andere als öde.
Ich starte direkt hinter dem Parkplatz. Der Wanderrundweg heißt ‚Historienweg‘. Er führt in Höhenlage durch die Weinberge in die Rotweingemeinde Assmannshausen. Von hier geht es weiter über Aulhausen und das Niederwalddenkmal zurück nach Rüdesheim.
Es fängt schon gut an, denn es geht direkt und ziemlich bergauf in die Weinberge. Ich denke, wenn das so weitergeht, schaffe ich mein Pensum nicht. Aber ich bin ehrgeizig und zäh. Schon bald sehe ich die Rüdesheimer Seilbahn, die lautlos über meinen Kopf zum Niederwalddenkmal schwebt. ‚Über den Reben schweben‘ lautet das Motto.
Dann geht es ein Stück weit bergab. Von hier habe ich einen fulminanten Blick über Rüdesheim, den Rhein und hinüber nach Bingen. Jetzt geht es rauf und runter, rauf und runter. Die Wege und den Wein sichern alte Bruchsteinmauern. Dass die Menschen hier sehr katholisch sind, erkenne ich an den Marienstatuen, die fast an jeder Wegkreuzung stehen. An den Wegesrändern wachsen Kräuter und andere Wiesenblumen. Ich entdecke einen wunderschönen Falter mit dem Namen ‚Schwabenschwanz‘. Leider hat er keine Lust, sich auf einer Blume niederzusetzen. Ich warte noch ein Weilchen für ein Foto – aber vergebens.
Die Beschilderung des Wanderwegs lässt stark zu wünschen übrig. Hätte ich nicht meinen ‚Old-school-Ausdruck‘ von der Wegstrecke dabei, hätte ich mich verlaufen können. Ganz großes ‚Hätte, hätte, Fahrradkette-Kino!!!
Der jetzt folgende steile Aufstieg lohnt sich, der Blick geht weit über das Land und das ‚Weltkulturerbe Mittleres Rheintal‘.
Ich gelange jetzt ins Weingebiet Rüdesheimer Rottland. Mit 33 Prozent Steigung präsentiert sich der Weinberg ganz in der Nähe der legendären Rheintiefe „Binger Loch“. Die hiesigen Weine können im Weinkeller mehr als 10 Jahre gelagert werden. Zusammen mit dem Rüdesheimer Berg, der bis zur Burg Ehrenfels reicht, wachsen hier die besten Weinlagen im Rheingau. Genau an dieser Stelle ändert der Rhein seine Fließrichtung von Westen nach Nordwesten. Die Hangneigung beträgt jetzt sogar bis zu 60 Grad. Immer wieder findet sich die eine oder andere Bank zum Verweilen, denn die teils steilen Wege machen sich konditionell bemerkbar, besonders bei der schwülwarmen Witterung. Außerdem kann ich hier in aller Ruhe die herrliche Aussicht auf den Rhein genießen.
Kurz vor der Burgruine Ehrenfels bietet sich ein schöner Blick über Bingen und das Rhein-Nahe-Eck. Von der Burgruine aus dem 12. Jahrhundert blicke ich von Hessen nach Rheinland-Pfalz und auf die Mäuseturminsel im Rhein. Früher Wehr, Wacht- und Zollturm dient der Mäuseturm heute als Signalturm für die Rheinschifffahrt. Nach einem supersteilen Treppenaufstieg treffe ich auf einen besonderen Rastplatz, dem „Ehrenfelsblick“. Hier steht ein „Weinkeller im Weinberg“, an dem sich eine Gruppe junger Leute mit Wein eingedeckt hat. Weil es den köstlichen Rebensaft nur Flaschenweise gibt, verzichte ich schweren Herzens und genieße statt köstlichem Rebensaft den Blick auf die Burg Rheinstein.
Der Weg führt nun in zahlreichen Kurven weiter bis unten erste Häuser auftauchen. Wow! Ich bin nach den ersten 7 Kilometern fast in Assmannshausen angekommen. Der Weg fällt jetzt Stück für Stück ab, rechts liegt die imposante Weinlage ‚Assmannshäuser Höllenberg‘. Steil bergab laufe ich jetzt in die kleine Winzergemeinde am Höllenberg und steuere sofort auf einen Eisladen zu.
Weiter geht es auf der Rheinuferstraße und dann im Zick-Zack-Kurs – ich dachte, der hört niemals auf – steil wieder in die Weinberge und zur ‚Rotweinlaube‘ hinauf. Ausgerechnet jetzt kommt auch noch die Sonne teilweise zum Vorschein, und es ist unerträglich schwül. Außerdem ist es so klar wie Kloßbrühe: Mein Wasser wird auf keinen Fall bis Aulhausen reichen. Diese steilen Abschnitte des Wanderweges kosten mich nicht nur eine Menge Kraft sondern auch meinen gesamten Wasservorrat. Ich spüre in Gedanken schon den Muskelkater von Morgen. Ich befinde mich jetzt auf einem Teil des bekannten ‚Rheinsteigs“ und in der Nähe des ‚Bacharacher Kopfs‘. Er liegt zwischen dem Rheinsteig und dem Rheinhöhenweg.
Egal, jetzt und hier genieße ich das einsame Wandern und die Natur in vollen Zügen. Nach ungefähr 2 ½ bis 3 Kilometern komme ich in ‚AULI‘ – wie man das beschauliche Örtchen hier liebevoll nennt – an. Es liegt in einem schluchtenartigen Seitental des Niederwalds und wird vom Rheinhöhenweg durchquert.
Meine Zunge klebt schon lange am Daumen und ich sehe Rettung. Der Gutsausschank ‚Zum schöne (ja, ohne n) Michel‘ ist keine Fata Morgana sondern eine reale Straußenwirtschaft, die zu den besten 40 im Rheingau zählt. Ich muss mich noch 20 Minuten gedulden, um 17 Uhr wird geöffnet. Eine große Flasche Wasser und eine große Riesling-Schorle sind ratz-fatz verputzt.
Da ich mir zu Beginn der Wanderung viel Zeit zum Schauen und Fotografieren genommen habe, komme ich zeitlich jetzt ins Hintertreffen. Ich beschließe eine Wegeänderung. Zunächst geht es aber sowas von steil aus dem Ort heraus, dass ich trotz Stärkung ziemlich aus der Puste komme. Ich merke jetzt meine Füße und muss mich erst wieder einlaufen. Der 3,5 Kilometer lange Wanderweg zum Niederwalddenkmal führt jetzt durch Wiesen, vorbei an abgemähten Kornfeldern und verläuft parallel zur L3454 und zur L3030 durch den Wald.
Vom Niederwalddenkmal bringt mich die Seilbahn für 6 Ocken in 15 Minuten in die Ortsmitte von Rüdesheim. Jetzt noch wenige hundert Schritte und ich erreiche mein Auto. Um 20 Uhr sitze ich auf der Couch, chille, trinke und pflege meine Füße.
Eine geile Wandertour liegt hinter mir und ich bin stolz, mein gesetztes Ziel erreicht zu haben. Der eine fehlende Kilometer macht den Bock nicht fett. Ich liege zwei Stunden früher in den Federn als Sonst.
Gute Nacht!