Türkisblaue Perle der Alpen und Glücksgefühle pur

Montag, 12. Juli 2021

Ich wecke mich und nehme einen frühen Bus zum Bludenzer Bahnhof. Hier wartet der Landbus ins Brandnertal zum Lünersee auf ca.2.000 Meter Seehöhe – in eines der berühmtesten Hochgebirgstäler Österreichs, dem Rätikon.
Es ist die Heimat von Zimba 2643, Schesaplana 2964, Drusenfluh 2827 und Panüelerkopf 2859. Grandiose Panoramen erwarten mich, westlich die berühmte Schesaplana, 2965m, über deren Gipfel die Grenze zwischen Vorarlberg und dem schweizerischen Graubünden verläuft.

Bludenzer Bahnhof

Die türkisblaue Perle der Alpen
Die Wartezeit an der Talstation der Lünerbergbahn ist kaum der Rede wert. Sechs Minuten später stehe ich vor der türkisblauen Perle der Alpen! Es hat Sonne und Wolken und ist noch recht kühl. Darunter leidet heute die Farbe, die ich vom letzten Jahr ganz anders in Erinnerung habe. Der kristallklare See liegt inmitten der markanten Kalkberge der Rätikoner Ost-Alpen. Er ist 139 Meter tief, hat ein malerisches Ufer und bietet auf einer Rundwanderung atemberaubende Eindrücke. Grandios ist die mächtige Gebirgsarena aus schroffen Felsen und Bergspitzen.

Unentschlossen
Noch bin ich unentschlossen und weiß nicht genau, was ich heute erwandern soll. Im Hinterkopf peile ich den Aufstieg zur Totalphütte auf 2.385 Metern an, die auf halbem Weg zur Schesaplana, der Königin im Rätikon, auf einem kleinen Plateau liegt und tolle Blicke auf den 400 Meter unterhalb liegenden See bietet. Das ist sehr verlockend und ich will auch, aber der Bauch warnt mich und meint, noch sei ich nicht fit genug nach den Impfnebenwirkungen. Schau‘n wir mal. Ein entspannter Spaziergang wird das jedenfalls nicht und eine Genusswanderung erst recht nicht. Das ist echtes Bergwandern. Ich will spontan entscheiden. Ich habe außerdem gelesen, „Auf dem Weg zur Hütte lässt du den Alltag hinter dir und mit dem Blick über die Berge fühlst du dich frei und unendlich“. Das klingt verlockend, weg von Alltag, Stress und Lärm, Entschleunigen, Bergluft atmen und staunen. Einfach einfach!!! Die Würfel sind gefallen. Ich mach’s.

Die Hütte am Fuße der Schesaplana
​Die Totalphütte ist umgeben von herrlichen Kletter- und Wanderbergen. 2019 wurde sie teilweise von einer Lawine zerstört und wieder aufgebaut. In ca. 1 ½ Stunden ist sie von der Bergstation zu erreichen. Und selbst für Kinder und ältere Bergfreunde sei der Aufstieg kein Problem – so steht es auf den Informationstafeln beschrieben. Na, denke ich, das ist machbar und es steht jetzt fest, ich steige auf.

Die Tour beginnt an der Douglashütte, 1979 Meter, und ist insgesamt  ‚nur‘ 6,5 km lang. Auf der gegenüberliegenden Seeseite blicke ich auf die 2643 Meter hohe Zimba. Der Weg zur Hütte ist zunächst sanft ansteigend und schlängelt sich in S-Kurven den Hang hinauf. Es geht durch Geröll und auf sehr schmalem Steig an der Felswand des 2.609 Meter hohen Seekopfes entlang.

Ich denke schon ans umkehren, aber mein eiserner Wille will nicht. Meine Motivation sind die wunderbaren Blicke auf den immer tiefer liegenden Lünersee. Altschneefelder und große Geröllsteine wechseln sich jetzt ab. Bald gerate ich in steileres Gelände. Da ich meine Trekkingstocke in der morgendlichen Eile vergessen habe, ist es ziemlich beschwerlich. Immer wieder muss ich pausieren, weil meine Blutkörperchen nicht das tun, was sie eigentlich tun sollen (mein Eindruck), ich nach der Impfung noch nicht ganz fit bin, und verliebt in die fantastischen Ausblicke auf den See, der wunderschön eingebettet in einem prächtigen Hochgebirgskessel liegt. In einer Höhe ab 2000 Metern Höhe werden nämlich beim Wandern und Bergwandern die roten Blutkörperchen angereichert, wodurch sich die Sauerstoffaufnahmekapazität verbessert, und das wiederum eine Leistungssteigerung bewirkt. Bei jedem anderen, nur bei mir nicht.

Auf dem letzten Stück muss ich auf meine Reserven zurückgreifen. Ich stapfe durch Altschnee und riesiges Geröll, teilweise muss ich regelrecht hochkrabbeln und das ohne genaue Wegbezeichnung. Ich denke an den Hinweis für Kinder und ältere Bergfreunde geeignet und kann es nicht glauben. Endlich erblicke ich die Hütte auf ihrem kleinen Plateau. Das erzeugt einen riesengroßen Motivationsschub. Jetzt aufgeben ist vergessen, mein unbändiger Wille, mein Durchsetzungsvermögen und mein Gottvertrauen helfen mir auf den letzten Metern.

Das Glück der letzten Schritte zum selbstgesteckten Ziel ist nicht beschreibbar. Den Moment genießen ist außerdem nicht so leicht, wie ich mir das vorgestellt habe. Aber nach dem Ankommen übermannen dich die Glücksgefühle. Die Ablenkungen lassen nach und plötzlich ist man für einen Moment ganz bei sich. Klein und unbedeutend, aber doch Teil des Ganzen, weil man in der Natur klargekommen ist, egal wie groß oder klein die Herausforderungen waren.

Das Bergpanorama ist überwältigend und fesselt mich für Minuten. Ich genieße eine wundervolle Aussicht in die Silvretta, Verwall- und Berninagruppe (Schweiz), letztere mit dem einzigen 4tausender der Ostalpen, dem Piz Bernina mit 4049 Metern. Ich erhole mich bei Essen und Trinken und netten Gesprächen mit meinen Tischnachbarn. Die Seele kann ich nur begrenzt baumeln lassen, denn ich denke schon an den mühsamen Rückweg.

Entscheidend sind nur sechs Sekunden
Für diesen wähle ich eine andere Tour. Sie erscheint mir einfacher, was sich aber als Trugschluss erweist. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die letzte Talfahrt um 17 Uhr noch erreiche. Ich bleibe ungewohnt ruhig und steige vorsichtig Schritt für Schritt ab. Bald kann ich die Douglashütte und die Bergstation von weitem sehen, als ich kurz vor der Lünerseealpe endlich den Rundweg erreiche.
Mit den mir verbleibenden 20 Minuten bis zur Bergstation ist es kaum zu schaffen. Ich spüre meine Oberschenkel nicht mehr und erwarte einen riesigen Muskelkater. Trotzdem nehme ich meine allerletzten Kräfte zusammen, eile irgendwie und allein auf weiter Flur der Bergstation entgegen und erreiche das Unmögliche. 6 Sekunden vor der letzten Talfahrt betrete ich die letzte Bergbahn. Meine Knie zittern und ich bin erstaunt wie ruhig ich dennoch bin.
Der Landbus steht für die Rückfahrt schon bereit.

Am Bludenzer Bahnhof angekommen raste ich noch ein Viertel Stündchen auf der Bank bevor ich mühsam aufs Rad steige und erschöpft aber sehr stolz auf meinen Campingplatz zurückkehre. Wie unter Trance ziehe ich die Bergschuhe aus, lasse alles stehen und liegen, falle in meinen Liegestuhl und genieße die Sonne. Mein Kopf ist gerade leer, aber mein Herz und meine Seele sind total glücklich. Und das ist gut so.

Kategorie Österreich

Hallo Du da! Schön, dass Du meinen sehr persönlich geschriebenen Gute-Laune-Reiseblog www.amliebstenweg.de besuchst. Ich bin leidenschaftliche Camperin, Bikerin und sehr naturverbunden. Wandern ist ein Hobby, dass erst kürzlich dazugekommen ist. An Land, Leuten und deren Kultur bin ich sehr interessiert. Gebürtig komme ich aus Rheinlandpfalz, habe einen erwachsenen Sohn und zwei süße Enkelkinder. Mein Lebensmotto ist "Lachen, Leben und Lieben". Bei meinen Unternehmungen freue ich mich jeden Tag auf neue Erlebnisse und Erfahrungen, kleine oder große. Ich lade Dich ein, sie mit mir zu teilen! Du findest mich übrigens auch auf Instagram, Facebook und Twitter.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.