022Tag 17 – 9. Mai 2022
Nach dem Motto „Der frühe Vogel fängt den Wurm“ geht’s den zweiten Tag auf Lisboa-Tour. Ich finde am ‚Praca de Figueira‘ die Haltestelle der dottergelben Electrico-Tram 28. Mega cool – diesmal habe ich Glück, denn es wartet nur eine kleine Menschenmenge, die sich mit der wohl bekanntesten Sehenswürdigkeit Lissabons quietschend durch das enge Gassenlabyrinth ruckeln lassen will. Die Richtung ist mir in diesem Moment total egal. Hauptsache ich bin mal drin.
Mit der Uralt-Tram durch Alfama
Die Tramfahrt in den ältesten Bezirk Lissabons ist eine Zeitreise und zugleich Sightseeing. Teilweise gleichen die Gassen einem Nadelöhr, so dass verschreckte Touris immer wieder an den Hauswänden kleben, um heil die Bahn an sich vorbeifahren zu lassen. Wir überwinden einmal sogar eine Steigung von 13,5 Prozent! Busse waren hier nie eine Alternative, denn die Straßen sind maximal 4 Meter breit.
An der Endhaltestelle im Stadtteil Praceres ist es mal wieder zum wahnsinnig werden! Geschätzte 100 Menschen warten auf eine Bahn für die Rückfahrt. Bei der Ankunft drin sitzen bleiben ist leider nicht möglich.
Nach 1 ½ Stunden bin ich endlich wieder an Bord. Eines ist glasklar, Lissabon ist eine heftige „Zeitfressmaschine“ .Aber das weiß ich schon von gestern.
Ich steige an der Haltestelle zum Castelo de Sao Jorge aus, an der zahlreiche Tuck-Tucks auf lauffaule Touris warten. Ich nehme den Fußweg und schleppe mich die steilen Gassen im mittelalterlichen Stadtviertel Alfama zur maurischen Festung. hoch. Die Gassen sind jede für sich ein Traum. Hinter jeder Ecke finde ich ein reizendes Café, eine kleine Bar oder ein Restaurant, über dem die Wäsche zum Trocknen flattert. Gott sei Dank sind die meisten Touris auf das Castelo aus dem 11. Jahrhundert fixiert. So kann ich mich mehr oder weniger alleine durch die Gässchen treiben lassen.
Wie war das noch gleich mit dem wahnsinnig werden????
Am Eingang zum Castelo bleibt mir die Spucke weg. Richtig – eine nicht enden wollende Touri-Schlange wartet auf Einlass. Gut für’s Geschäft eines Künstlers, der mit Kaffee im Kleidungsstil der Dreißiger Bilder malt und verkauft. Ich erfahre, dass ich mit mindestens einer Stunde Wartezeit rechnen muss und habe darauf null Bock, Auch in Lissabon hat der Tag nur 24 Stunden, in denen man sehr flexibel agieren muss.
Ich erklimme stattdessen die zum Castelo gehörige Kirche und genieße einen wunderbaren Blick auf die ziegelroten Dächer der Altstadt. Die Kathedrale ‚Se‘ befindet sich auf einem Hügel ganz in der Nähe. Ich erfahre von Besuchern, dass sie montags leider geschlossen ist. Das hat wiederum den Vorteil, dass es zurück zum Triumphbogen „Arco da Rua Augusta“ nur noch abwärts geht.
Laufen, laufen, laufen
Die Fliesen – Azulejos – gehören zum Stadtbild wie das Amen in der Kirche. Sie stammen aus der maurischen Zeit und sind eine Augenweide. Ich mache einige wunderschön gekachelte Häuser ausfindig, schlendere an zahlreichen vollen Straßencafés und-restaurants vorbei und bin begeistert von dem Charme und dem gemütlichen Flair dieser Stadt. Ich beobachte in einer Bäckerei die Herstellung der weltbekannten Vanilletörtchen in Blätterteig: ‚Pasteis de Nata‘. Alleine in Bélem geht der Süßigkeitenstar täglich 20.000 Mal über die Theke. Yummi!!!
Ich unternehme einen weiteren Versuch, mit dem Elevador de Santa Justa in die Oberstadt zu fahren und scheitere ein weiteres Mal an der langen Schlange der Wartenden. Das Wahrzeichen des Bezirks Baixa gehört zum öffentlichen Nahverkehr und ist damit offizielles Transportmittel. Das mag manches erklären.
In der Oberstadt
Und weil ich im Auf-und-Ab-Training bin, nehme ich den Fußweg. Ich treffe direkt auf das berühmte Literatur-Café A Brasileira aus der Belle Epoque, eines der ältesten Lissabons. Es war Treffpunkt zahlreicher portugiesischer Schriftsteller. Einer von ihnen, Fernando Pessoa, sitzt immer noch draußen auf einer Bank und ist jederzeit bereit für ein Selfie.
An der berühmten Klosterruine schramme ich haarscharf vorbei, sehe aber die Tram 28E und fahre zu einem der schönsten und größten Miradous in Lissabon, dem Sao Pedro de Alcantara. Die Aussicht auf Alfama ist grandios. In der historischen Gartenanlage mit einem schönen Brunnen in der Mitte herrscht ein entspannter vibe.
Cacilhas – das Gegenüber von Lissabon
Ich bekomme Hunger und sofort fällt mir der Tipp eines Ex-Kollegen für ein tolles Fischrestaurant ein. Ich laufe zum Fährhafen am Cais de Sodré und setze deshalb mit der Fähre über nach Cacilhas. Die Tejo-Bucht ist hier fast zwei Kilometer breit, wofür die Fähre 10 Minuten benötigt.
An der Spitze der Tejo-Mündung steht ein leuchtend roter Leuchtturm außer Dienst. Ich schlendere an verfallenen Hafengebäuden und an einem verrosteten Ladekran vorbei und treffe kurz vor der Brücke 25. Abril auf ein sehr schönes Fischlokal mit dem Namen Restaurante Ponte Final. Kleiner Sandstrand, einige Angler, sonnengelbe Tischdecken, Blick auf die Ponte 25 de Abril. Ich nehme Platz, warte eine Weile, der Kellner geht mehrfach an mir vorbei, bis ich frage, ob ich bestellen dürfe.
Nö, sagt er, wir haben bereits geschlossen. Blöder als ich kann man kaum gucken und sprachloser sein auch nicht. Ich ärgere mich noch eine Zeitlang rum und begebe mich mürrisch und hungrig auf den Rückweg.
Auf der Rückfahrt habe ich eine grandiose Aussicht auf Lissabon. Und was soll ich sagen, ich fühle plötzlich so etwas wie Abschiedsschmerz. Sollte ich mich doch total in Lissabon verliebt haben? Mit allem, was mich wahnsinnig gemacht hat? Offensichtlich ist das so.
Nach mehr als neun Stunden auf und ab bin ich ziemlich fertig und komme mit einer riesengroßen Blase an der Ferse wieder auf den Campingplatz.
Ich resumiere im Liegestuhl, träume und schlabbere gedankenversunken einen Kaffee.